Von Kaya Kinkel (MdL Hessen), Andrea Lindlohr (MdL Baden-Württemberg), Dr. Danyal Bayaz (ehem. MdB, jetzt Finanzminister in Baden-Württemberg), Stephanie Schuhknecht (MdL Bayern)
12.03.2021
Wir stehen vor der Herausforderung, unsere Wirtschaft sozial und ökologisch zu modernisieren. Gleichzeitig bieten sich durch die Digitalisierung und technologische Fortschritte große Chancen für ein ressourceneffizientes und nachhaltiges Wirtschaften. Deshalb sind Startups wichtig. Sie sind der Mittelstand von morgen. Sie treiben den Strukturwandel voran, indem sie Innovationen schaffen und auf den Markt bringen. Innovationen, die im besten Fall unser Leben leichter machen und eine bessere Zukunft ermöglichen.
Wir wollen Gründer*innen fördern, die zum Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft beitragen. Die sozial-ökologische Transformation wird nicht allein mit dem Staat gelingen. Er kann anstoßen, gute Rahmenbedingungen schaffen und Ziele setzen. Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir auch eine innovative Wirtschaft, die nachhaltig und gemeinwohlorientiert denkt und handelt – und auch etwas wagt. Soziale und nachhaltige Unternehmen, die klassische Startups und gemeinnützige Organisationen vereinen, sind dabei wichtige Partner.
In der Corona-Krise droht nun vielen Startups die Finanzierung wegzubrechen, bevor sie sich am Markt bewähren können. Wir erleben einerseits ein Rekordjahr der Investitionen in Startups. Gerade in Krisen sind junge Unternehmen, die neue Perspektiven und Lösungen erarbeiten, unverzichtbar. Andererseits zeigt eine Studie des Startup-Verbands, dass bis zu zwei Drittel aller Startups in ihrer Existenz bedroht sind. Wir laufen Gefahr, eine ganze Generation von erfolgreichen Gründer*innen samt ihrer Ideen zu verlieren. Das hätte auch Folgen für größere Unternehmen, die mit Startups zusammenarbeiten und darüber innovative Produkte und Dienstleistungen erhalten.
Es lohnt sich, Gründer*innen jetzt zu unterstützen, damit sie gut durch die Krise kommen. Nur dann können sie künftig zur Wertschöpfung und zum sozial-ökologischen Fortschritt beitragen können. Nur dann können sie gedeihen und Arbeitsplätze schaffen. Deshalb wollen wir langfristige Rahmenbedingungen schaffen, die Startups und Innovationen fördern.
Corona-Hilfen zügig und unbürokratisch umsetzen
Vielen Startups mit neuen Geschäftsmodellen droht durch die Corona-Krise die Finanzierung wegzubrechen, bevor sie sich am Markt überhaupt bewähren können. Doch auch Startups, die funktionierende Geschäftsmodelle haben, stehen vor der Herausforderung, angesichts des Einbruchs der Umsätze auf den Beinen zu bleiben. Auch bei Sozialunternehmen, insbesondere im Bildungs- und Pflegebereich, sind viele Startups in ihrer Existenz bedroht.
Bundesländer unterstützen kleinere Startups, die noch keine Investoren haben. In Baden-Württemberg und Hessen werden dabei erfolgreich bestehende Förderinstrumente genutzt, etwa das Programm Startup Pre-Seed in Baden-Württemberg oder der Beteiligungsfonds HessenKapital.
Nach einiger Verzögerung hat die Bundesregierung begonnen, ihre angekündigten Hilfen für Startups in Höhe von 2 Mrd. Euro umzusetzen. Demnach stockt der Bund bei seiner Hilfe mit einer Matching-Fazilität die Investitionen privater Investor*innen in bereits größere Startups auf. Wir fordern, dass diese Hilfen unbürokratisch ankommen. Bislang wurden kaum Anträge bewilligt. Die Matching-Konditionen sollten verständlich und marktüblich sein. Auch hier dürfen gemeinwohlorientierte Unternehmen nicht durchs Raster fallen.
Gründungskapital jetzt einführen
Wir wollen den ersten Schritt in die Selbstständigkeit erleichtern. Daher fordern wir ein zinsloses und unbürokratisches Gründungskapital von bis zu 25.000 Euro. Dieses Gründungskapital soll auch in Insolvenzverfahren genutzt werden können, wenn dadurch das Unternehmen weitergeführt werden kann. Voraussetzung ist eine vorangehende Beratung sowie eine Wirtschaftlichkeitsprüfung des Unternehmensplans/der Geschäftsidee durch Expert*innen der KfW, Wirtschaftsberater*innen oder eine Wirtschaftskammer.
Insolvenzrecht anpassen
Je länger der Corona-Ausnahmezustand andauert, desto mehr Gründer*innen und Startups werden von einer Insolvenz betroffen sein. Der politisch oftmals beschworene Mut zum Risiko erfordert auch eine Kultur der zweiten Chance. Das bedeutet, auch Erleichterungen für Startups und KMU im Insolvenzrecht vorzusehen. Wir fordern, dass die Bundesregierung endlich die entsprechende EU-Richtlinie umsetzt und Regelungen schafft, die die Abwägung von Chancen und Risiken des Insolvenzverfahrens durch die Schuldner erleichtern. Wir fordern außerdem, dass Startups und KMU die Restrukturierung und Sanierung mit staatlich mitfinanzierter Beratung ermöglicht wird, um Insolvenzen zu vermeiden.
Wachstumsfinanzierung ausbauen
Besonders in großen, späteren Finanzierungsrunden haben deutsche Startups Probleme, Kapitalgeber zu finden. Zudem kommen die großen Finanzgeber häufig aus dem nicht-europäischen Ausland. Das führt dazu, dass die Startups tendenziell auch „auswandern“, also dort an die Börse gehen oder dorthin verkauft werden. Damit laufen wir laufen Gefahr, Know-how und auch spätere Steuereinnahmen durch Wegzug der Firmen zu verlieren, obwohl die Anschubfinanzierung in Europa erfolgt ist.
Wir fordern, dass der von der Bundesregierung angekündigte Fonds für Wagniskapital endlich zügig umgesetzt wird. Er sollte schnell die kritische Menge von 10 Mrd. Euro erreichen und ein Vielfaches an privaten Geldern hebeln. Gleichzeitig sollte auch ein funktionierender Sekundärmarkt für Direktinvestitionen und Anteile an Wagniskapitalfonds aufgebaut werden, etwa durch eine Co-Investing-Plattform.
Der Fokus der Investments sollte auf Wachstumsunternehmen liegen, die die sozial-ökologische und digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben. Dazu gehören etwa Technologieunternehmen aus den Bereichen Ressourceneffizienz, Life Sciences, Künstlicher Intelligenz, nachhaltiger Mobilität, Medizintechnologie und Bildung. Die Investments sollen den ESG-Kriterien entsprechen.
Für mehr europäisches Wagniskapital müssen wir die Banken- und Kapitalmarktunion vorantreiben. Das hieße mehr Wettbewerb unter den Kapitalgeber*innen und bessere Bedingungen für große europäische Investments. Zu diesem Zweck wollen wir europäische Wagniskapitalfonds sowie den EIF stärken und mit deutschen und europäischen Initiativen wie dem Green Deal verzahnen.
Öffentliche Vergabe strategisch nutzen
Jährlich vergibt die öffentliche Hand in Deutschland Aufträge im Wert von 500 Mrd. Euro. Mit den öffentlichen Ausschreibungen sind oft Anforderungen verbunden, die Startups nicht erfüllen können. Auch der bürokratische Aufwand bei Ausschreibungen wird von vielen Startups als große Hürde beschrieben. Nicht überraschend machen Startups gerade einmal 4% ihres Umsatzes mit Ausschreibungen in Deutschland.
Wir fordern, dass Startups gezielt bei öffentlichen Ausschreibungen angesprochen werden, insbesondere solche mit nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Geschäftsmodellen. Dazu wollen wir Ausschreibungen so gestalten, dass sie technologieoffen und innovationsfreundlich sind. Außerdem gilt es die Vernetzung zwischen Startups und der Verwaltung auszubauen. So soll es Schulungen für Beschaffer*innen zu vergaberechtlichen Entwicklungen und Best Practices geben. Umgekehrt sollen Startups mehr Informationen zu öffentlichen Vergabeverfahren erhalten.
Mitarbeiter*innenbeteiligung erleichtern – Mitbestimmung ermöglichen
Startups brauchen innovative Köpfe. Besonders in Bereichen wie Künstlicher Intelligenz oder Life Sciences konkurrieren Startups mit großen Unternehmen. Deswegen wollen wir Mitarbeiter*innenbeteiligungen erleichtern und Startups als Arbeitgeber attraktiver machen. Momentan hinkt Deutschland im globalen Vergleich hier deutlich hinterher. Daher sollte zunächst der steuerliche Freibetrag für Mitarbeiter*innenbeteiligungen an Startups auf 5.000 Euro erhöht werden. Die Gewährung der Steuerbefreiung sollte mit einer Mindesthaltefrist von 5 Jahren verbunden werden.
Außerdem fordern wir, die weiteren steuerlichen und gesellschaftsrechtlichen Bedingungen für Mitarbeiter*innenbeteiligungen zu verbessern, etwa den Besteuerungszeitpunkt verändern. Momentan werden deswegen hauptsächlich virtuelle Anteile vergeben, die oftmals kompliziert und bürokratisch aufwendig sind. Auch hier wollen wir die Bedingungen erleichtern.
Es darf bei Startups keine Ausnahmen von Sozialstandards geben. Deshalb ist es notwendig, die Mitbestimmung für die Bedingungen der digitalen Wirtschaft zügig weiterzuentwickeln. Die betriebliche Mitbestimmung ist eine Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft. Sie trägt entscheidend zur Demokratisierung von Unternehmen bei. Studien zeigen außerdem, dass Unternehmen mit Betriebsrat langfristig erfolgreicher und innovativer sind.
Nachhaltiges und soziales Unternehmertum anerkennen
Sozialunternehmer*innen sind ein wichtiger Antrieb der sozial-ökologischen Modernisierung von unserer Wirtschaft und Gesellschaft. In einer Umfrage des Bundesverbands Deutsche Startups ordnen sich 38% der Startups als Social Entrepreneurs ein. Gerade diese Sozialunternehmen haben es jedoch meist besonders schwer an Fördergelder und Wagniskapital zu kommen.
Dabei sind soziale Unternehmer*innen nicht weniger wachstums- und profitorientiert als andere Gründer*innen. Sozialunternehmen brauchen spezielle Informations- und Beratungsangebote, etwa durch eine Anlaufstelle. Wir fordern, dass Unternehmensnachfolger*innen die Möglichkeit bekommen, analog zu Gründer*innen ein solches Coachingprogramm nutzen zu können.
Wir wollen, dass in staatlichen Gründungswettbewerben und Förderprogrammen sowie den Aktivitäten der KfW Kriterien für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und soziales Unternehmertum konsequent integriert und positiv gewertet werden. Genossenschaften sollten in den Förderkriterien nicht hinter Kapitalgesellschaften benachteiligt werden.
Gründerinnen fördern
Nur 15 % der Startups werden von Frauen gegründet. Dabei sind laut Studien Startups, die von Frauen oder von geschlechter-gemischten Teams gegründet werden, häufig wirtschaftlich erfolgreicher als rein männlich-gegründete Startups. Wir wollen mehr Gründerinnen für mehr Ideen, denn Vielfalt ermöglicht Innovation.
Um kurzfristig die Bedingungen zu verbessern, wollen wir einen Fonds für weibliche Hightech-Gründungen aufsetzen, wie ihn z.B. Irland mit dem “Competitive Start Fund for Women Entrepreneurs” hat. Er sollte ausschließlich in Startups investieren, in deren aktivem Gründungsteam mindestens eine Frau ist. Außerdem wollen wir in den Ländern branchenübergreifende Netzwerke für Gründerinnen stärken, vergleichbar dem baden-württembergischen „Startup BW Women“.
Langfristig geht es uns darum, bestehende strukturelle Hindernisse für Frauen in der Startup-Förderung zu beseitigen. Wir wollen Anreize schaffen, von Beginn an auf diverse Gründungsteams zu setzen. Daher wollen wir bei Förderungsanträgen erfassen, ob die Startups auch aus weiblichen Gründungsmitgliedern bestehen. So können bestehende Förderinstrumente evaluiert und neue Programme evidenzbasiert ausgerichtet werden.
Dezentrale Ökosysteme stärken
Innovative Gründungen entstehen in lebendigen Ökosystemen. Durch Spitzenforscher*innen, zahlreiche Universitäten und einen starken Mittelstand haben wir gute Voraussetzungen für vitale Startup-Ökosysteme.
Wir dürfen uns daher nicht auf einige zentralisierte Ökosysteme in Berlin oder München konzentrieren, sondern vorhandene Stärken der Wirtschaft und des Handwerks mit Startups verzahnen, etwa in Jena, Bochum oder Karlsruhe. Bei neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologien sollten wir frühzeitig auf etablierte Strukturen von Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Investoren und Start-ups aufbauen, um schnell und gezielt in Ökosysteme von relevanter Größe zu investieren.
Wir wollen außerdem Gründungen im ländlichen Raum fördern. Dazu braucht es neben einem Glasfaseranschluss auch eine gute und regelmäßige Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Gründer*innen sollen sich auch abseits der Metropolen gut vernetzen und austauschen können. Dabei setzen wir auf einen Ausbau bestehender Initiativen wie Innovationshubs und Makerspaces.
Selbstständig machen in den Hochschulen
Wir wollen die Möglichkeiten für Forschende und Studierende verbessern, sich mit ihren Ideen selbständig zu machen. Gemeinsam mit Bund, Ländern und Hochschulen wollen wir darauf hinwirken, die Lehr- und Forschungskapazitäten im Bereich Unternehmertum an allen Hochschulen auszubauen, z.B. durch ein Bund-Länderprogramm „Unternehmertum in der Hochschulbildung“. Denn unternehmerische Kompetenzen sollten nicht nur in BWL, sondern auch in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften erlernt werden können. Außerdem wollen wir Programme fördern, die junge Menschen aus dem Handwerk und Akademiker*innen zusammenbringen.
Für mehr Ausgründungen wollen wir Entrepreneurship-Zentren an Hochschulen stärken. Sie sollten aus klassischen Hochschulstrukturen ausgekoppelt sein, eine eigene Rechtsform besitzen und die gezielte Einbindung der Wirtschaft fördern. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass die Bedingungen für die Übertragung von geistigen Eigentumsrechten fair und transparent gestaltet werden und bereits für Studierende entsprechende rechtliche Beratung möglich ist.
Gute Forschung kostet auch Geld: Wir fordern, den Zugang zur steuerlichen Forschungsförderung für Startups und KMUs zu vereinfachen und diese bei der angekündigten Anhebung des Förderdeckels auf 4 Mio. Euro zu berücksichtigen.
Unternehmertum frühzeitig lernen
Gründen bedeutet neugierig und lösungsorientiert an Problemstellungen heranzugehen und Scheitern zu akzeptieren. Nicht jede Idee wird sofort zu einem Erfolg werden. Wichtig für gesteigerten Gründungsmut sind dabei Vorbilder und die Möglichkeit, mit Gründer*innen in Kontakt zu treten, die ihren Erfahrungsschatz teilen. Zu diesem Zweck sollte „Unternehmerisches Lernen“ schon an Schulen ausgeweitet werden.
Hier setzen heute schon Projekte wie StartUp Teens, JUNIOR oder der betriebswirtschaftliche Planspielwettbewerb playthemarket an. Jedoch ist die Teilnahme stark vom Engagement und Interesse einzelner Lehrkräfte abhängig. Wir wollen eine Ausweitung der Projektteilnahme auf freiwilliger Basis auch auf alle weiterführenden Schularten und unterstützen die Lehrkräfte auf diesem Weg durch entsprechende Fortbildungen.