21. März 2018

Hessisches Gesetz für soziale und ökologische Kriterien, Tariftreue und Mindestlohn bei Vergaben

21.03.2018 – Plenum

Die Rede von Kaya Kinkel beginnt bei Zeitmarke 17:16

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt beide Seiten gehört, die FDP mit extrem marktliberalen Ansichten und den Gesetzentwurf der LINKEN mit stark sozialistischen Ansätzen.

Wir GRÜNE stehen dabei für eine Ausgewogenheit, für uns steht die Ausgewogenheit im Vordergrund.

Meine Damen und Herren, die öffentliche Hand hat eine wichtige Marktmacht bei der Beschaffung von Ausstattung und bei den Investitionen in Infrastruktur durch öffentliche Aufträge der Kommunen und auch ihrer Eigenbetriebe – was schon jetzt im HVTG festgelegt ist – oder bei der Vergabe von Dienstleistungen. Deshalb muss sie ihre Marktmacht auch nutzen, um soziale und ökologische Komponenten bei der Beschaffung zu berücksichtigen. Damit kann die öffentliche Hand Vorbild für Verbraucherinnen und Verbraucher sein. Die gebündelte Marktmacht kann auch Anreize für die Massenproduktion umweltfreundlicher Produkte bieten.

Aus diesem Grund haben wir im Jahr 2015 das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz verabschiedet, in dem explizit festgeschrieben ist, dass bei öffentlichen Aufträgen – jetzt zitiere ich aus § 2 – „grundsätzlich die Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf den Beschaffungsgegenstand und dessen Auswirkungen auf das ökologische, soziale und wirtschaftliche Gefüge zu berücksichtigen“ sind.

Bevor ich auf die einzelnen Punkte des Gesetzentwurfs der LINKEN eingehe, möchte ich noch einmal etwas zur Bauwirtschaft allgemein sagen, die im Mittelpunkt der Diskussion um die Tariftreue steht. Wir haben gestern in der Fragestunde gehört, wie hoch der Preisdruck in der Bauwirtschaft ist. Bei der Sanierung von Landesstraßen muss mit Preissteigerungen von bis zu 24 % gerechnet werden.

Das liegt sicherlich nicht nur an den immer knapper werdenden Ressourcen – dazu gehört beispielsweise der wichtige Baustoff Sand –, sondern vor allem auch an der guten Konjunktur und den steigenden öffentlichen Ausgaben im Baubereich und der damit hohen Nachfrage nach Baudienstleistungen. Die Auftraggeber können also ganz andere Preise verlangen, sich mit utopischen Preisen bei Ausschreibungen bewerben und am Ende noch nicht einmal mehr die Aufträge annehmen. Sehr geehrte Damen und Herren, diese gute Situation bei den Auftraggebern muss dann auch über die Reallöhne bei den Beschäftigten ankommen.

Wir verleugnen nicht, dass auf Baustellen teilweise schlimme Zustände herrschen. Wenn Beschäftigte keinen Lohn ausbezahlt bekommen, wenn Wanderarbeiter ausgenutzt und aufgrund geringer Sprach- oder Rechtskenntnisse um ihr Recht betrogen werden und sich nicht zu wehren wissen, dann muss die Politik, dann muss der Staat handeln.

Ich sage ganz deutlich: Wenn rechtswidrige Zustände auf Baustellen herrschen, wenn kein Lohn bezahlt wird oder die Beschäftigten unter dem Mindestlohn bezahlt werden, dann ist es Aufgabe des Zolls, zu prüfen und gegen die Verstöße vorzugehen, auch mit rechtlichen Konsequenzen gegenüber den Arbeitgebern.

Jetzt schaue ich in Richtung der SPD-Fraktion; denn die Ausstattung des Zolls ist eine Bundesaufgabe, und der Stellenabbau bei der Bundeszollverwaltung und bei der Finanzkontrolle ist für die Bekämpfung von Schwarzarbeit definitiv nicht hilfreich.

Um die Situation der Wanderarbeiter zu verbessern, unterstützen wir in Hessen die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB, damit dort Ansprechpartner für die Arbeitskräfte aus dem Ausland auch in der eigenen Landessprache beraten und unterstützt werden können.

Ich will näher eingehen auf die von den LINKEN geforderte Landesbehörde zur Überprüfung. Das HVTG hat rechtliche Grundlagen geschaffen, dass Einblick in Abrechnungen und Geschäftsunterlagen gegeben werden muss, wenn ein Anlass dafür gesehen wird. Das Problem ist schlichtweg: Die Auftraggeber müssen diesen Spielraum auch nutzen. – Im Übrigen gibt es bereits Nachprüfstellen für die VOB in Hessen. Wir haben die Nachprüfstelle bei der Landesstraßenbaubehörde für die Vergaben von Hessen Mobil. Wir haben eine Prüfstelle bei der Oberfinanzdirektion in Frankfurt für die Hochbaumaßnahmen und jeweils für die Kommunen in den drei Regierungspräsidien.

Das bedeutet, es gibt durch das HVTG in den §§ 4, 6 und 9 unter anderem Regelungen dazu, wie kontrolliert wird und dass die öffentlichen Auftraggeber auch dazu da sind, diese Bestimmungen zu kontrollieren.

Unternehmen, die dagegen verstoßen – das ist die Konsequenz daraus –, riskieren, aus der öffentlichen Auftragsvergabe herauszufliegen. Unser Ansatz ist, den Kommunen durch das HVTG freizustellen, ob sie die Kriterien nutzen und wie sie angewandt werden. Welche Kriterien genutzt und wie sie gewichtet werden, kann am besten vor Ort und auch individuell nach der jeweiligen Ausschreibung entschieden werden.

Ein weiterer Punkt ist, dass das HVTG bewusst an das Mindestlohngesetz des Bundes gekoppelt ist. Einen neuen Mindestlohn, der dann nur im Rahmen des öffentlichen Auftrags in Hessen, nicht aber bei privaten Aufträgen gilt, würde dazu führen, dass sich überhaupt keine Unternehmen mehr um öffentliche Aufträge bewerben würden, vor allem nicht bei der jetzigen Konjunktur und Marktlage. Ich weiß schon, wer dann als Erstes schreien würde, dass es in Hessen einen Investitionsstau gäbe.

Mit dem bestehenden HVTG haben wir eine gesetzliche Grundlage geschaffen, dass die Tariftreue und der Ausgleich zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen eine bessere Gewichtung erfahren und – auch das ist wichtig bei der Ausgewogenheit – dass vor allem auch kleinen und mittleren Unternehmen sowie Handwerksbetrieben nicht der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen versperrt wird.

Diese Ausgewogenheit ist wichtig, sie kommt mir bei Ihrem Gesetzentwurf deutlich zu kurz. Dann schauen wir einmal, was bei der Evaluierung hinsichtlich der Wirksamkeit der Tariftreueregelung herauskommt, die wir explizit im Gesetz verankert haben. – Vielen Dank.

Auszug aus dem Plenarprotokoll der 133. Sitzung, S. S.9508 – 9510

Dieses Thema wurde in der 148. Sitzung am 12.09.2018 erneut behandelt.

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