01.02.2018 – Plenum, Aktuelle Stunde
Hier könnt ihr das Video zu meiner Rede sehen.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Decker, herzlichen Dank für diese Große Anfrage, wobei wahrscheinlich auch Sie zugeben müssen, dass sich unser Erkenntnisgewinn in Grenzen hält. Zu Ihren Ausführungen möchte ich eines sagen. Es kam deutlich heraus, dass für das offizielle Tarifregister der Bund zuständig ist. Ich persönlich sehe keinen Sinn darin, dass wir durch ein hessisches Tarifregister zusätzliche, unnötige Doppelstrukturen schaffen.
Alle Daten, die Sie haben wollten, sind beispielsweise beim Statistischen Bundesamt leicht verfügbar. Würden wir in Hessen ein zusätzliches Tarifregister einrichten, dann würde das keinem einzigen Beschäftigten eine Tarifbindung verschaffen. Das müssen auch Sie einsehen, Herr Decker.
Wir GRÜNE wollen, dass der Arbeitsmarkt boomt und vielfältig bleibt. Wir wollen unterschiedliche Beschäftigungsformen haben, die für unterschiedliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren verschiedenen Lebenslagen und auch für die jeweiligen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber passen. Dafür braucht es stabile Leitplanken, die vor Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen wirksam schützen.
Wir GRÜNE wollen das Tarifsystem stärken und den Umfang des Niedriglohnsektors reduzieren; denn gegen niedrige Löhne helfen am besten gute Tarifabschlüsse. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass wieder mehr Beschäftigte nach Tarif entlohnt werden. Hier gab es in den letzten Jahrzehnten bundesweit eine besorgniserregende Entwicklung. Der Anteil der Beschäftigten mit tariflichen Löhnen ist bundesweit von ca. 80 % zu Anfang der Neunzigerjahre auf heute 46 % gefallen. Immerhin etwas besser und über dem Schnitt der alten Bundesländer liegt die Quote der Tarifbeschäftigten in Hessen, die 50 % beträgt.
Menschen, die in tarifgebundenen Beschäftigungen arbeiten, verdienen ca. ein Fünftel mehr als diejenigen, die in anderen Betrieben angestellt sind. Außerdem sind diejenigen, die nach Tarif arbeiten, wirksamer vor Altersarmut geschützt. Auch könnte der unternehmerische Wettbewerb sehr viel fairer gestaltet werden, wenn mehr Unternehmen nach Tariflohn zahlen würden. Es spricht also alles dafür, das Tarifsystem zu stärken.
Dafür braucht es gemeinsame Anstrengungen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die Politik kann und sollte diesen Prozess im Kontext der Tarifautonomie unterstützen. Wir haben heute Morgen die Debatte darüber geführt, ob und welche Tarifverträge gelten. Wie diese ausgestaltet sind, entscheiden die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Der Staat und die Politik müssen aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Abschluss von Tarifverträgen vereinfacht wird und sich Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften gründen können.
Wir GRÜNE sind der Meinung, dass Tarifverträge allgemein verbindlich für alle Betriebe einer Branche gelten sollten; denn davon würden sowohl die Beschäftigten als auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber profitieren. Die SPD-Fraktion hat sich mit der Hessischen Landesregierung aber den falschen Adressaten dieser Großen Anfrage ausgesucht; denn das Bundesarbeitsministerium – mit einer SPD-Ministerin an der Spitze – führt das Tarifregister und ist auch für das Tarifrecht im Allgemeinen zuständig. Nur auf der Bundesebene könnte auch die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden.
Daher haben Sie als SPD-Mitglieder und Mitglieder einer aktuell an Koalitionsverhandlungen teilnehmenden Partei wesentlich mehr Spielraum, die Allgemeinverbindlichkeit auszuweiten. Das liegt aktuell in Ihrer Verantwortung.
Für Hessen, seine Kommunen und die landeseigenen Unternehmen haben wir das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz eingeführt, um das Tarifsystem zu stärken. In dem Gesetz ist festgelegt, dass öffentliche Aufträge nur an Firmen vergeben werden dürfen, die ihre Beschäftigten nach Tarif oder zumindest nach Mindestlohn bezahlen. Mit dem Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz haben wir dafür gesorgt, dass Firmen, die öffentliche Aufträge erhalten wollen, die Tarifbedingungen ihrer Branche einhalten müssen.
Sehr geehrte Damen und Herren, man könnte kritisieren – es hat mich sehr gewundert, dass Sie das heute nicht getan haben, Herr Decker –, dass Hessen nicht mehr Mitglied in der Tarifgemeinschaft der Länder ist. Dann muss man aber auch feststellen, dass Hessen als Mitglied dieser Tarifgemeinschaft keine Möglichkeit gehabt hätte, das hessenweit geltende Jobticket zum Bestandteil der Tarifverhandlungen zu machen und einzuführen. Das haben die Beschäftigten des Landes Hessen aber begrüßt.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, die Große Anfrage verfolgte sicherlich eine gute Intention, die ich im Grunde auch teile; aber Ansprechpartner für eine Änderung der gesetzlichen Regelungen ist nicht die Landesregierung, sondern das Bundesarbeitsministerium. Das Land Hessen tut im Rahmen seiner Möglichkeiten alles, was es tun kann, um die Tarifbindung zu stärken, nicht zuletzt durch das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz.
Auszug aus dem Plenarprotokoll der 128. Sitzung, S. 9215
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